Dienstag, 28. Juni 2016

Teil 3: Bindungsbedürfnisse

Während sich im Osten Europas mein persönliches Waterloo abspielt, sitzt Leonardo am anderen Ende des Kontinents entspannt auf der Sonnenterrasse des katalanisches Majestic Hotels. Das Wetter ist so sonnig wie es der Klimawandel im April nur möglich macht und sicherlich tragen auch die fünf Sterne dieses Hotels, in das der FC Barcelona seine internationalen Pflichtspiel-Gäste zur Residenz einlädt, zu seiner guten Laune bei. Natürlich nehmen wir solche Nettigkeiten gern an, aber falls die Spanier gemeint haben, sie könnten unsere Mannschaft damit weichkochen (mit dem Pool auf dem Dach, den marmornen Fassaden in dem extra für uns abgesperrten Bereich, der aufgefüllten Mini-Bar in jedem Zimmer, auf der zusätzlich die neue PS7 platziert wurde...), dann haben sie sich geschnitten. Nach einem 1:1 im Hinspiel sah es für den altehrwürdigen FC Barcelona zwar zunächst gut aus, aber Christian Steger hat die Hoffnungen Barcelonas mit seinem gestrigen Doppelpack zunichte gemacht. Christian war mal wieder Gold wert - Nicht umsonst ist er mit seinen 24 Jahren schon einer der Topstars unseres Vereins und wird wegen seiner Durchschlagskraft trotz geringer Körpergröße von den Medien als Uwe Seeler des 21. Jahrhunderts abgefeiert.

Leonardo ist zufrieden. Er hat sich eine Kirschlimo bestellt und beobachtet die Gäste aus den anderen Stockwerken dabei wie sie nicht unweit von ihm über die neuesten Modekreationen von Dolce & Gabbiadini tuscheln - einer neuen italienischen Modefirma, die Damenschuhe mit Nocken produziert und in den letzten Jahren hier in Mode kam. Über irgend sowas jedenfalls, denn Leonardo ist trotz durchaus gut ausgeprägter Smalltalk-Qualitäten nicht unbedingt der Aufmerksamste, wenn es um Themen wie Mode, Geld oder Kapitalanlagen geht - außer natürlich es geht um seinen Verein.
Der 58-jährige tut dann immer so als würde er aufmerksam dem Gesprächsverlauf folgen, denkt dabei aber lieber über angenehme Dinge nach: wie seine Spieler sich gestern wieder elegant zwischen den Abwehrreihen spanischer Beine bewegt haben, in freie Räume vorgestoßen sind, der gemeinsame Jubel über ein erneutes Halbfinale... Er liebt diese fast schon familiären Momente mit seinen Jungs.

Es ist alles so gelaufen wie Leonardo sich das vorgestellt hat - und auch der FC Barcelona steht dem möglichen vierten Champions League-Sieg in Folge nun nicht mehr im Weg.
Er denkt über Michael nach. Der Junge ist ein echtes Finanzgenie, kann sich einfach und trotzdem formvollendet ausdrücken und auch sein Aussehen öffnet ihm so manche Tür. Wird er es schaffen, ihn an den Verein zu binden? Wird er es schaffen, ihn an sich zu binden? Oder würde Michael nach einigen Jahren genug von seiner Rolle haben und nach Höherem streben, wenn er merkt, wozu er in der Lage ist?
Hoffentlich halten Heirat und Familie ihn nicht irgendwann von den Plänen ab, die Leonardo für ihn geschmiedet hat. Aber Michael hält ja ohnehin nicht viel von Frauen. Vielleicht will er ja gar nicht heiraten?

"Leonardo?"
Hinter dem Angesprochenen taucht plötzlich Sebastian auf. Sebastian ist einer von Leonardos Co-Trainern - ebenfalls noch sehr jung, Ex-Profi, seinerzeit ewiges Talent in den Offensivreihen der Juve. Atomameise nannten sie ihn. Er war ein kleiner, flinker Dribbler und hatte unglaubliche Fähigkeiten am Ball, schaffte aber nie den Durchbruch und wurde deshalb irgendwann nach Amerika abgeschoben. Die Handlungsschnelligkeit und die Übersicht haben ihm gefehlt. An Letzterem hat er nach seiner aktiven Zeit gefeilt und so gilt Sebastian seit dem Ende seiner Spielerkarriere als Trainertalent, aber der kleine Mann ist auch hier keiner, der nach ganz großen Zielen strebt oder gern im Rampenlicht stehen möchte - und er ist keiner nach Leonardos Geschmack wie er schnell herausfinden musste als er ihn aus dem Trainerstab der Juve in sein Team luchste. Er hatte sich wesentlich mehr von Sebastian versprochen als nur sein befehlsbefolgender Co-Trainer zu sein.

Nun muss er sich aber wieder aus den Gedanken reißen. Er lächelt, blickt fragend auf Sebastian und weiß schon wenig später, dass der Mannschaftsbus zur Abreise bereitsteht. Sebastian erhält also den Auftrag, Spieler und Stab zusammenzutrommeln. Währenddessen trinkt Leonardo in Ruhe seine Kirschlimonade aus und schon bald sitzen alle gemeinsam im Bus in Richtung Flieger zurück nach Deutschland. Es wird Zeit, wieder über Fußball nachzudenken, denn schon in ein paar Tagen steht das nächste heiße Duell an: Es geht gegen den VfL Wolfsburg.

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