Dienstag, 21. Juni 2016

Teil 2: Sympathische Kapitalisten

Was heißt das heute, wenn der Trainer einem den Auftrag erteilt, den Markt zu sondieren? Man kann ja schließlich nicht monatelang in jedes Vereinsrestaurant der Welt latschen oder mal eben die Präsidenten aller Top-Klubs anrufen. Das Erste wäre nämlich selbst für einen Verein wie den unseren zu teuer und das Zweite würde den Marktwert des Spielers, den wir anbieten wollen, doch deutlich senken. Man muss also irgend eine andere Möglichkeit finden, um den helfenden Händen von Europas Spitzenteams deutlich zu machen, dass da ein Spieler auf dem Markt ist, der sie möglicherweise interessiert.

Mit dem Berater von Mario haben wir jedenfalls noch nicht gesprochen. Warum auch? Wir wollen ja erstmal schauen, ob es für andere Vereine überhaupt interessant ist, für einen 26-jährigen Linksverteidiger 50 Millionen auszugeben - und wenn ich jetzt zu Marios Berater gehe und ihm sage, dass er sich mal umhören soll, hat Mario selbst natürlich morgen das Gefühl, er würde hier nicht mehr gewollt. Das ist die Politik unseres Vereins - Die ist zwar nicht wirklich aufrichtig, aber wenn wir jedem Spieler Sachen erzählen würden wie von welchem Verein wir wieder ein Angebot für ihn abgelehnt oder erhalten haben, würde bei uns wahrscheinlich nicht mehr Fußball gespielt, sondern wir wären eine Diskussionsgruppe für potentielle Transfermarktinteressenten wie das Forum von transfermarkt.de.

Die Lösung für Probleme solcher Art heißt auf Deutsch 'Charity Galas' - Das sind Veranstaltungen, bei denen sich die Creme de la Creme der Fußballwelt regelmäßig irgendwelche Awards, Auslosungen oder Laudatien um die Ohren haut. Das ist oft ziemlich langweilig, aber hinterher gibt es eigentlich immer eine grandiose Feier mit einem noch grandioseren Buffet - vor allem, wenn FIFA oder UEFA die Organisatoren sind.
Für solche Galas jedenfalls bin ich mittlerweile Leonardos hauptverantwortlicher Experte geworden. Seiner Meinung nach kann ich gut mit Menschen umgehen, wobei der Umgang mit den meisten Menschen auf solchen Galas aus belanglosem Smalltalk besteht, sodass ich mich frage, ob man nicht ein ziemlicher Sozialverweigerer sein muss, um da nicht mithalten zu können. Dass ich neben meinen Muttersprachen Deutsch und Italienisch aber auch fließend Französisch, Spanisch und Englisch spreche, ist für Leonardo sicherlich auch ein nicht zu verachtender Faktor bei der Auswahl seines Repräsentanten. Und so stehe ich nun - während sich Leonardo gerade mit dem Kader der aktuellen Saison auf das Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League beim FC Barcelona vorbereitet - auf einer dieser Galas und arbeite am Kader der nächsten Saison.

Die Gala unserer Wahl ist natürlich die Auslosung für die anstehende EM in Kiew. Neben den Nationaltrainern und Repräsentanten der verschiedensten Länder läd die UEFA da nämlich auch immer die Vertreter der größten Klubs Europas ein und als amtierender und dreimaliger Champions League-Sieger in Folge dürfen wir da natürlich nicht fehlen. Gut ist außerdem, dass es wirklich nur die Drahtzieher der Top-Top-Teams sind, die sich hier tummeln werden - Ich werde also nicht vom Manager des SSC Neapel dabei gestört wie ich mit den Unterhändlern von Real Madrid oder Inter Mailand über unseren Goldjungen rede.

Mit mir auf der Gala ist unser Sportdirektor Fabio Paratici. Fabio ist ein etwas untersetzter Mittfünfziger, der neben seinem Haarausfall vor allem damit zu kämpfen hat, nicht allzu viel arbeiten zu müssen oder - umgekehrt betrachtet - eine Tätigkeit zu finden, durch die er den Eindruck erwecken kann, dass sein Monatsgehalt auch nur im Ansatz gerechtfertigt ist - Weil Leonardo nämlich so gut wie alle Entscheidungen alleine trifft, bleibt Fabio nicht mehr als die Rolle des befehlsbefolgenden Handlangers: Leonardo entscheidet - und Fabio setzt es um. Nun ist es allerdings nicht so, dass Fabio damit ein großes Problem hat, denn für genau diese Aufgabenverteilung hat Leonardo ihn aus dem Vorruhestand geholt, den er vier Jahre vor seiner Tätigkeit bei uns angetreten hat, nachdem seine Karriere im Management von Juventus Turin nach zwölf Jahren ein jähes Ende fand. Burnout.

Fabio und ich haben die unserer Meinung nach besten Plätze im Saal: Wir dürfen ganz hinten sitzen. Das hat den Vorteil, dass einen die in den vorderen Reihen herumwuselnden UEFA-Kameramänner nicht ablichten während man im Vereinssakko hilflos auf das auf das Ende des offiziellen Teils des Abends wartet. Außerdem kann man jederzeit aufs Klo gehen ohne die irritierenden Blicke der anderen Vereinsvertreter auf sich zu ziehen, weil man durch den ganzen Saal auf den Hauptausgang zum Foyer zustelzen muss.
Wir nehmen neben einem Mann Platz, den wir als Handlanger des Managers vom AC Mailand kennen und der nicht weniger untersetzt ist als Fabio. Neben ihm sitzt seine Kollegin, deren straffe Haut in Gesicht und Dekolleté einen krassen Gegensatz zu der schrumpeligen Haut am Rest ihres Körpers bildet. Mit diesen Sitznachbarn langweilen wir uns durch die Veranstaltung: Nach unzähligen Musikacts und Interviews, durch die die traditionsreiche Geschichte des EM-Gastgebers vertont und bebildert werden soll, werden noch ein paar Funktionäre für ihre Treue zu Verband und Vaterland geehrt. Dann kommt endlich der wesentliche Teil: Deutschland wird Frankreich, Belgien und der Schweiz zugelost und Italien landet in einer Gruppe mit Kroatien, der Niederlande und Gastgeber Ukraine. Zwischendurch raunt uns der Mailand-Unterhändler lustig gemeinte Kommentare zu und wir kichern höflich. Es stellt sich heraus, dass die Dame neben ihm nicht seine Arbeitskollegin, sondern seine Frau ist. Während wir hier also ernsthafte Vereinspolitik betreiben, nutzt er die Veranstaltung für einen fröhlichen Familienausflug. Naja, warum auch nicht.

Am Buffet im Foyer lerne ich nach überstandener Gala dann endlich einen echten Prominenten kennen: Es handelt sich dabei um den ehemaligen Weltklasseverteidiger Ivan Cordoba, der nach seiner aktiven Spielerkarriere als Funktionär die Finanzen von Inter Mailand verteidigte und dadurch einen steilen Aufstieg im Management des Klubs hinlegte. Es ist zu großen Teilen seiner Arbeit zu verdanken, dass der Metropolenklub und auch die italienische Liga heute wieder zu den Top-Adressen in Europa gehören.
Fabio kommt mit Ivan auf mich zu, beide in ein Gespräch vertieft (man kennt sich), stellt mich vor, man tauscht Freundlichkeiten aus, redet ein bisschen über Gott, die Welt, den Fußball und erfährt ein bisschen mehr übereinander. Man ist sich sympathisch und die Unterhaltung wird in ein nahegelegenes Hotel verlagert. Dort lernen wir bei einigen Gläsern Champagner Daniele Rucchi kennen, der nur ein paar Jahre älter als ich und Ivans erster Assistent und wichtigster Enforcer bei Transfers ist. Es geht aber auch im weiteren Verlauf des Abends nicht um Transfers: Man tauscht Freundlichkeiten aus, redet ein bisschen über Gott, die Welt, den Fußball und erfährt mehr übereinander. Man ist sich sympathisch und auch die netten, offenbar ukrainischen Damen, die mittlerweile zu uns gestoßen sind, lernen wir bei einigen weiteren Gläsern Champagner näher kennen: Man tauscht Freundlichkeiten aus, redet ein bisschen über Gott und die Welt, weniger über Fußball und erfährt mehr übereinander. Man ist sich sympathisch und als Ivan sich wegen noch zu erledigender Geschäfte aus unserer Runde verabschiedet und Fabio ihn begleitet, um schonmal zu unserem Hotel aufzubrechen, haben wir immer noch kein bisschen über irgendeinen Transfer gesprochen. Stattdessen verlagern wir das Szenario in eine von Daniele kurzerhand angemietete Luxus-Suite. Dort fließt noch mehr Champagner, man tauscht noch mehr Freundlichkeiten aus, redet nicht mehr so viel über Gott und die Welt und schon gar nicht über Fußball, aber ist dafür kurz davor, wesentlich mehr voneinander zu erfahren.

Am nächsten Morgen wache ich auf. Ich bin wieder in unserem Hotelzimmer. Keine ukrainischen Mädels, kein Daniele - und auch kein Fabio. Der wuselt wahrscheinlich schon irgendwo rum und führt 'Geschäftsgespräche'. Was gestern Abend noch passiert ist? Keine Ahnung. Mir tut der Kopf weh. Ich gehe zur Minibar, schnappe mir eine Flasche Mineralwasser und gieße mir ein Glas ein. Plötzlich raschelt es an der Tür - Erst denke ich, es ist der russische Geheimdienst, aber dann betritt Fabio den Raum.
"Michael, Du bist wach!", schmettert er mir entgegen.
"Soweit, so offensichtlich", antworte ich trocken. Ich will zu weiterem ansetzen, doch Fabio unterbricht meinen aufkommenden Redebedarf.
"Ich habe gerade mit Ivan telefoniert", sagt mein farbenfroher Kompagnon.
Er setzt sich auf die Bettkante und macht das Gesicht, das er immer macht, wenn er eine geschäftliche Sache zum Abschluss bringen will. Ich frage mich, ob er nun eine Sonderbelobigung erwartet oder warum er mir nicht endlich verrät, ob wenigstens er gestern Abend noch über Transfers gesprochen hat und unsere Reise somit als erster Erfolg bezeichnet werden kann - trotz meiner persönlichen wenig guten Aussichten auf die nächsten Tage wegen meines Katers.
Stattdessen geht es schon wieder nicht um Fußball und Transfers.
So sachlich wie möglich meint mein untersetzter Freund: "Er hat mir dieses Video geschickt" - und weil ich mir den Weg zum Bett erspare, mich stattdessen aufs Sofa fallenlasse und ihm damit den Blick auf sein Smartphone verweigere, das er schon die ganze Zeit in der Hand hält, kommt er eben auf mich zu und hält es mir unter die Nase. Ich frage mich, welchen YouTube-Clip ich mir nun schon wieder ansehen muss und seit wann Fabio einer derjenigen ist, die einem bei jeder Gelegenheit irgendwelche Katzenvideos oder YouTube-Compilations unter die Nase halten. Vielleicht bin ich aufgrund meines Zustands aber auch nur gereizt und will zurück ins Bett.

Das Video, das mir Fabio zeigt, ist aber keine Compilation auf YouTube. Und Katzen kommen darin auch nicht vor. Stattdessen ist darin ein blonder, offenbar angetrunkener junger Mann zu sehen, der in einem abgedunkelten Zimmer ganz offensichtlich ziemlich viel Spaß dabei hat, sich mit drei jungen Damen zu vergnügen. Irgendwann kommt der junge Mann zur Kamera, rückt sie gerade und man kann ihm aus ziemlich kurzer Distanz ins Gesicht sehen: Der junge Mann bin ich. Der abgedunkelte Raum ist unser gestriges Hotelzimmer. Und die drei Damen sind unsere sympathischen ukrainischen Gäste vom Vortag. Nur Daniele ist nirgendwo zu sehen.
Als ich meinen Blick abwende, deutet Fabio auf das Smartphone, das er mir weiter unter die Nase hält und meint: "Sieh hin".
Ich sehe hin. Der junge Mann ist jetzt dabei, sich über eine der drei Damen herzumachen. Nach kurzer Zeit stößt sie ihn von sich weg, schreit Dinge wie "Stopp!", "Hör auf!", "Nein!", der junge Mann lässt irritiert von ihr ab, schimpft irgendetwas Undeutliches vor sich hin, es wird diskutiert und irgendwann schnappt sich jemand die Kamera, das Bild wackelt und bricht ab.

Ich brech auch ab. Im weiteren Verlauf des Gesprächs mit Fabio wird dann klar: nicht nur, dass die gezeigten Szenen mich stark in Bedrängnis bringen - die vermeintlichen 'Damen' waren auch gar keine Damen, sondern erst 15, 16 und 17.

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